Die Entstehung der Evangelien: Sind sie überhaupt glaubwürdig?

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Aus antiken nicht-christlichen Quellen wissen wir viel über Jesus. So viel, dass wir auch ohne die biblischen Texte ein recht genaues Bild von ihm hätten.

Trotzdem sind die vier Evangelien am Anfang des Neuen Testaments besonders interessant, wenn wir mehr über Jesus erfahren wollen.

Es sind vier Biografien, von denen jede aus einer etwas anderen Perspektive berichtet. Deshalb werden manche Begebenheiten nur von einem, andere von allen vier Evangelisten wiedergegeben.

Wenn Du also mehr über Jesus erfahren willst, geht dies am besten anhand dieser vier Bücher. Und das nicht nur weil sie so umfangreich sind.

Doch sind diese Berichte überhaupt glaubwürdig?  

Die Antwort vorweggenommen: Ja.

Aber warum?

Weil es sich nicht um fiktive Romane handelt, sondern um historische Tatsachenberichte.

Zugegeben, auch das ist erst mal nur eine Behauptung. Allerdings eine, die wir begründen können.

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Die Evangelien sind entstanden, weil ihre Verfasser für die Nachwelt festhalten wollten, was sie selbst erlebt haben

Wie findest du heraus, warum jemand einen bestimmten Text verfasst hat?

Indem du ihn fragst.

Glücklicherweise reden viele Autoren ganz offen über ihre Schreibabsicht:

J. R. R. Tolkien, der Autor der Herr der Ringe-Reihe schrieb in seinem Vorwort zum Beispiel folgendes: „Das Hauptmotiv war der Wunsch …, es einmal mit einer wirklich langen Darstellung zu versuchen, die die Aufmerksamkeit der Leser fesselt, sie unterhält, erfreut und manchmal vielleicht erregt oder tief bewegt.“

Er wollte eine unterhaltsame Geschichte schreiben, also tat er es. Er erhob keinen Anspruch auf historische Richtigkeit. Deshalb ist jedem klar, der seine Bücher liest, dass es sich um eine erdachte Erzählung handelt.

Und wie ist das bei den Evangelien?

Die Autoren dieser ersten vier Bücher des Neuen Testaments – Matthäus, Markus, Lukas und Johannes – machen deutlich, dass ihre Werke das genaue Gegenteil von einem Roman sind:

Es sind Tatsachenberichte.

Wie aber kommen sie dazu und was gibt ihnen das Recht, dies zu behaupten?

Die Evangelien beruhen auf den Aussagen von Augenzeugen.

Matthäus und Johannes waren sogar selbst welche. Sie gehörten zu den zwölf Jüngern, die drei Jahre lang rund um die Uhr mit Jesus unterwegs gewesen waren.

Markus ist lange Zeit mit Petrus unterwegs gewesen, der zu den Jüngern Jesu gehörte. Petrus wollte, dass seine Erlebnisse mit Jesus dokumentiert werden, da er dachte, er würde bald sterben. Er wollte nicht, dass in Vergessenheit gerät, was er hautnah miterlebt hat. Markus schrieb somit die Erinnerungen von Petrus auf. Dies wird durch Petrusʼ individuellen Schreib- und Redestil bestätigt, der in seinen eigenen Briefen sowie seinen Predigten in der Apostelgeschichte deutlich wird. Den Bericht von Markus findest du im gleichnamigen Evangelium.

Und schließlich Lukas: Er kannte zwar weder Jesus noch die Jünger persönlich. Aber er macht in seiner Einleitung deutlich, dass auch ihm Augenzeugenberichte vorliegen und dass er viel Recherche betrieben hat.

Warum weist Lukas so explizit darauf hin?

Sein Freund Theophilus glaubte den Erzählungen über Jesus wohl nicht so ganz. Deshalb forschte Lukas nach und fasste seine Ergebnisse in zwei Berichten zusammen – im Lukas-Evangelium und in der Apostelgeschichte.

Diese beiden Schriften schickte er seinem Freund, damit dieser den Erzählungen Glauben schenken konnte.

Die vier Evangelien sind Tatsachenberichte, denn sie beruhen auf den Aussagen von Augenzeugen.

Auch Johannes liefert, von sich aus, Hinweise auf die Frage, warum man seinem Evangelium glauben kann. Er schreibt, dass er nur von dem berichtet, was er selbst gesehen und erlebt hat (vgl. 1. Johannes 1,1–4).

Die Evangelien sind also keine von den Christen missverstandenen Romane. Sie erheben einen klaren Wahrheitsanspruch – weil sie aus Berichten von Augenzeugen bestehen.

Das hilft übrigens auch bei der zeitlichen Einordnung der Evangelien: Sie sind noch zu Lebzeiten der Jünger, aber gegen Ende ihres Lebens entstanden, also etwa im letzten Drittel des ersten Jahrhunderts. Die meisten Historiker sind sich einig, dass das Johannes-Evangelium ca. 90 n. Chr. als letzter der vier Berichte entstand.  

Aber sind die Evangelien denn tatsächlich Augenzeugenberichte – oder behaupten die Autoren das nur?

Woran kann man erkennen, ob Berichte von Augenzeugen glaubwürdig sind?

Kleine Unterschiede sprechen eher für als gegen die Augenzeugen

Augenzeugenberichte auszuwerten, klingt erst mal simpel. Immerhin berichtet jemand von dem, was er mit eigenen Augen gesehen hat.

Ermittler in Kriminalfällen schreiben Berichten von Augenzeugen daher erst mal eine hohe Beweiskraft zu.

Aber ganz so simpel, wie es auf den ersten Blick scheint, ist es dann oft doch nicht. Angebliche Augenzeugen können sich am Ende abgesprochen haben, um gemeinsam falsche Behauptungen als wahr zu verkaufen.

Niemand wird verschiedene Zeugenberichte ernst nehmen, wenn sie sich in wesentlichen Punkten widersprechen. Das wissen auch Betrüger, die daher versuchen, sich möglichst exakt abzusprechen.

Weil es aber niemals gelingen wird, eine erfundene Geschichte hieb- und stichfest zu präsentieren, sind es gerade die Details, mit denen man Falschaussagen entlarven kann.
Warum?

Gefälschte Zeugenaussagen heben die gleichen Details hervor, sofern es dazu Absprachen gegeben hat. Auf unvorhergesehene Rückfragen aber reagieren falsche Zeugen zwangsläufig widersprüchlich.

Echte Zeugen hingegen achten auf jeweils andere scheinbar unwichtige Details. Diese fließen dann an unterschiedlichen Stellen in die Erzählung ein, widersprechen sich aber im Wesentlichen nicht.

Es ist ganz normal, dass die gleiche Situation von verschiedenen Personen immer ein bisschen anders wahrgenommen wird.

Der eine kann sich vielleicht besonders gut Gespräche merken und daher wörtlich wiedergeben. Ein anderer erfasst eher den Sinn des Gesagten und fasst deshalb das Gehörte zusammen. Dem einen ist der eine Aspekt besonders in Erinnerung geblieben. Dem anderen eben ein anderer.

Feine Unterschiede sprechen für die Echtheit von Zeugenaussagen.

Solange es sich nicht um sachliche Widersprüche handelt, sind es gerade diese feinen Unterschiede, die für die Echtheit von Zeugenaussagen sprechen. Unterschiedliche Menschen berichten aus verschiedenen Perspektiven von demselben Ereignis. Würde jeder die gleiche Einzelheit nennen und zu denselben anderen Details schweigen oder widersprüchliche Aussagen machen, wäre eher eine vorhergehende Absprache der Zeugen zu vermuten.

Lass uns dieses Prinzip jetzt auf die Evangelien anwenden. Wie sieht es bei ihnen aus?

Ein Beispiel:

Alle vier Evangelisten berichten übereinstimmend, dass über dem Kreuz von Jesus seine Anklageschrift hing. Jedoch findet sich nur bei Lukas die Randnotiz, dass diese Aufschrift in drei Sprachen verfasst war. Als gebildeter Grieche war ihm dieses Detail offenbar wichtig. Den Inhalt der Aufschrift fasst er dann folgendermaßen zusammen: Dieser ist der König der Juden“ (Die Bibel: aus Lukas 23,38).

Johannes erwähnt diese Mehrsprachigkeit gar nicht erst. Dafür zitiert er etwas ausführlicher: „Jesus, der Nazaräer, der König der Juden“. Diese feinen Unterschiede sind kein Widerspruch. Es ist völlig normal und geradezu glaubwürdig, dass jeder echte Zeuge andere Schwerpunkte setzt.

Viele Details in den Evangelien ergeben gerade in der Zuammenschau Sinn.

Alle vier berichten dann, dass im Laufe des Tages die Frage aufkam, wie so viele Menschen mit Essen versorgt werden könnten. Nur Johannes hält fest, dass Jesus spezifisch den Jünger Philippus ansprach. Warum gerade ihn?

Bereits im ersten Kapitel des Evangeliums hatte Johannes erwähnt, dass Philippus aus dem Ort Bethsaida stammte. Klingt auch erst mal unwichtig. Das Ganze gewinnt erst dann an Bedeutung, wenn man auch den Bericht von Markus liest. Der erwähnt nämlich, dass das Ereignis in der Nähe von Bethsaida stattgefunden hat. Da ergab es durchaus Sinn, dass Jesus den Jünger ansprach, der sich in der Gegend gut auskannte.

Abgesehen von diesen beiden gibt es in den Evangelien noch viele andere Details, die gerade in der Zusammenschau Sinn ergeben. Und diese können nicht auf Absprachen beruhen. Der Neutestamentler Dr. Peter J. Williams schreibt:

„Die Übereinstimmung ist oft so subtil und indirekt, dass sie nur dem aufmerksamsten Leser auffällt. Wenn man annimmt, dass die Verfasser der Evangelien solche Absprachen getroffen haben, um ihre Erzählung authentisch erscheinen zu lassen, dann müsste man sie zu den brillantesten aller antiken Autoren zählen.“ (Williams: Can we trust the gospels? S. 70)

Je kleiner die Details, desto zuverlässiger die Zeugenaussage

Die vier Evangelien nennen, wo immer es den Erzählfluss nicht unterbricht, Details: Namen, Mengen, Orte, Zeitpunkte. Für Augenzeugen ist es nicht schwer, derartige Angaben zu machen.

Du erinnerst dich vielleicht: Lukas war aber kein direkter Augenzeuge. Sein Bericht beruht auf gewissenhafter Recherche und ihm vorliegenden Augenzeugenberichten.

Kann er in Sachen Detailtreue trotzdem mit den anderen mithalten?

Gerade in seinen Texten wimmelt es von Einzelheiten. Zum Beispiel verweist er bezüglich Ortsangaben auf insgesamt 32 Länder, 54 Städte und 9 Inseln. Jede einzelne dieser Angaben birgt das Potenzial, Lukasʼ Glaubwürdigkeit schlagartig in Frage zu stellen.

Dementsprechend hat der Althistoriker und Archäologe Sir William Ramsay sämtliche geographischen Details überprüft, die Lukas in seinen Texten nennt.

Das Ergebnis: Lukas ist kein einziger Fehler unterlaufen.

„Lukas ist ein Historiker ersten Ranges!“
Sir William Ramsay

Zum Beispiel erwähnt Lukas Synagogen, die bei späteren Ausgrabungen in den entsprechenden Orten gefunden und zugeordnet werden konnten. Er nennt Städte, die heute durch andere historische Aufzeichnungen belegt sind. Er listet Personen auf, die zu dieser Zeit wirklich das jeweilige Amt innehatten.

Manchmal dauerte es eine Weile, bis die Archäologie Lukas Recht gab. Aber letztlich tat sie es.

Ein Name, der Lukasʼ Glaubwürdigkeit lange in Verruf brachte, war Gallio. In Apostelgeschichte 18 dokumentiert Lukas diesen nämlich als Prokonsul der Provinz Achaja um 52 n. Chr.

Das Problem: Ein Prokonsul Gallio in dieser Zeit war der Geschichtswissenschaft die längste Zeit unbekannt.

Es gab keine Aufzeichnungen, weder von ihm noch über ihn. Bis bei den Ausgrabungen von Delphi (1885–1910) schließlich doch eine entsprechende Inschrift zutage gefördert wurde.

Es verwundert also nicht, dass Ramsay zu dem Schluss kam: „Lukas ist ein Historiker ersten Ranges; nicht nur seine Tatsachenbehauptungen sind vertrauenswürdig. Dieser Autor sollte unter die allergrößten Historiker eingereiht werden“ (Sir William M. Ramsay, The Bearing of Recent Discovery on the Trustworthiness of the New Testament).

Modenamen gab es auch im ersten Jahrhundert schon

Besonders junge Eltern kennen sie: Hitlisten mit den derzeit beliebtesten Vornamen.

Solche Listen sind natürlich eine Erfindung der Neuzeit. Modenamen hat es aber schon immer gegeben.

Nicht nur in den verschiedenen Epochen, sondern auch in verschiedenen Ländern und sogar Regionen. Ob eine Erzählung tatsächlich aus einer bestimmten Zeit stammt, ist also unter anderem durch die verwendeten Namen erkennbar.

Wenn du eine historische Erzählung aus Frankreich fälschen möchtest, kannst du deine Charaktere nicht Sven und Philomena nennen. Zumindest nicht, wenn du willst, dass man dir glaubt.

Auch wenn Hitlisten erst in der Neuzeit aufkamen, kann man durchaus rekonstruieren, welche Namen damals gang und gäbe waren. Wir haben Zugriff auf alte Namensverzeichnisse. Es gibt Experten, die Stunden damit verbringen, in alten Dokumenten Namen zu zählen. Selbst eine schnelle Google-Suche kann dir schon ein paar gute Namensideen verschaffen. 

Aber versetzen wir uns einmal in die Position der vier Evangelisten: Begrenzte Reisemöglichkeiten, keine öffentlich zugänglichen Namensverzeichnisse und erst recht kein Internet. Wären die Evangelien erst zwei-, dreihundert Jahre später entstanden, hätten ihre Autoren niemals passende Namen erfinden können.

Die zahlreichen Namen in den Evangelien waren aber damals durchaus übliche Namen in der jeweiligen Region. Genauso passt ihre Häufigkeit zur damaligen regionalen Verteilung. Woran kann man das erkennen?

Namen, die damals selten waren, tauchen in den Evangelien immer ohne Zusatz auf. Weitere Erklärungen waren nicht nötig. Stell dir vor, heutzutage würde ein Junge in einem kleinen Ort Dieter, Harald oder Horst heißen. Jeder Ortsansässige würde sofort wissen, wer gemeint ist. 

Häufige Namen werden in den Evangelien hingegen immer mit einer zusätzlichen Bezeichnung versehen.

Johannes, Judas, Jesus, Maria – das waren typische Namen. Also erhielten diese Personen Zusätze: Johannes der Täufer vs. Johannes, der Bruder des Jakobus. Judas Iskariot vs. Judas, der Zelot. Jesus (der) Christus vs. Jesus, genannt Barabbas. Maria, die Mutter Jesu vs. Maria aus Magdala. Zusätze dienten also dem Zweck, die jeweilige Person eindeutig zu identifizieren. Durch ihren Herkunftsort, ihren Beruf oder sonstige Titel oder ihre Verwandtschaft war klar, wer gemeint war.

Die vier Autoren kannten sich in der Materie also aus. Sie lebten in der Zeit und Region, von der sie berichteten. Daraus lässt sich auch schließen, dass die Evangelien bereits im ersten Jahrhundert nach Christus entstanden sind!

Ich habe in Religionswissenschaften promoviert und hatte Gelegenheit, die meisten heiligen Texte der großen religiösen Traditionen zu studieren und zu vergleichen. Ich finde daher diese Passagen im Neuen Testament absolut überzeugend. In der Bhagavad-Gita, dem Granth, dem Tripitaka oder dem Koran findet man diese Art von empirischer, nachprüfbarer Sprache einfach nicht. Die Verfasser des Neuen Testaments waren von ihrer Botschaft besessen, weil etwas Erstaunliches direkt in ihrer Mitte geschehen war, am helllichten Tag und für alle sichtbar … mit dieser Art von Sprache hebt sich das Neue Testament als einzigartig von religiöser Literatur ab – spirituell erbaulich und empirisch überprüfbar (Craig J. Hazen in Tough-Minded Christianity, S. 29).

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